Die Geschichte begann, als dem Großherzoglichen Finanzminister die Unterbringung eines beschränkten Soldatenkontingents in Bürgerhäusern in Gießen zu teuer wurde. Sinnvoller erschien es ihm, auf dem Seltersberg oberhalb der Stadt, die damals knapp 5000 Einwohner hatte, eine Kaserne mit zwei Wachhäusern bauen zu lassen und damit Gießen zu einer Garnisonstadt zu machen. Mit dem Bau wurde im Jahre 1817 begonnen; die Soldaten des 3. Großherzoglichen Infanterie-Regiments konnten 1819 ihr neues Domizil beziehen.
Die Freude über die neue Unterkunft währte nur kurze Zeit, denn Gießen war eine Universitätsstadt und wurde verhältnismäßig stark durch die Aktivitäten ihrer Studenten geprägt. Diese stammten damals überwiegend aus vergleichsweise gut situierten Familien, weil das Studieren viel Geld kostete. Sie waren patriotisch gesinnt, vielfach in studentischen (schlagenden) Verbindungen organisiert und entsprechend stolz und etwas überheblich. Ebenso stolz und nach den Erfolgen der Freiheitskriege von sich überzeugt waren die Soldaten, vor allem die Unteroffiziere und die Offiziere des Regiments. Beide Personenkreise, die Soldaten ebenso wie die Studenten, neigten schon immer dazu, die eigene Bedeutung zu überschätzen.
Wer wem auf den schmalen Bürgersteigen auszuweichen hatte, war z.B. schon immer ein Problem in Gießen gewesen. Aus diesem und anderen Gründen kam es zwischen den Studenten und den neu hinzugezogenen Soldaten sehr bald und immer wieder zu Streitigkeiten und Rempeleien. Diese weiteten sich allmählich aus und führten schließlich am 4. März 1821 zu einer in der Presse als „Batzenskandal“ bezeichneten umfangreichen Schlägerei zwischen Soldaten der Garnison und einer größeren Anzahl von Studenten der Gießener Universität. Nur durch das Eingreifen der Gießener Polizei konnten die wütend aufeinander einschlagenden Parteien schließlich voneinander getrennt werden. Das hessische Kriegsministerium sah sich genötigt, die Soldaten bis auf ein kleines Restkommando nach Worms zu verlegen, um die jahrelange Konfrontation zu beenden.
Die neu erbaute Kaserne stand in den drei folgenden Jahren leer. Zwar wurden zwischen dem für Liegenschaften des Großherzogs zuständigen Hessischen Finanzministerium und der Universität Gießen Verhandlungen zur Übernahme der Kaserne für Zwecke der Universität geführt, aber erst Ende 1823 konnte man sich über die Modalitäten einigen Das Hauptgebäude der freigewordenen Kaserne wurde anfangs von verschiedenen Instituten der Universität genutzt, 1827 aber in ein „Akademisches Spital“ umgewandelt, ein Krankenhaus der Universität also, das man im Volksmund später kurz „Alte Klinik“ nannte. Diese „Alte Klinik“ wurde 1944 durch Bombentreffer stark beschädigt und in den 60er Jahren abgerissen. Dort steht heute das große Fernmeldeamt. In das Wachhaus an der Ecke Frankfurter Straße/Liebigstraße zog eine Polizeistation ein. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war hier die von Prof. Leutert geleitete Hals-, Nasen- und Ohrenklinik untergebracht. Diese wurde in den 50er Jahren abgetragen.
Das zweite Wachhaus (neben dem jetzigen Mathematikum) erhielt Justus Liebig, um dort ein Laboratorium einzurichten. Liebig war mit Dekret vom 26. Mai 1824 zum außerordentlichen Professor, ein Jahr später zum ordentlichen Professor für Chemie und Pharmazie in Gießen ernannt worden. Das Laboratoriumsgebäude war verhältnismäßig klein. Es bestand im Parterre aus einem größeren Raum, dem „Alten Labor“ und vier kleineren Räumen, Wägezimmer, Magazin, Spülraum und Schreibzimmer. Im Obergeschoß bezog Liebig eine Privatwohnung, wo er in der Folge mit seiner Frau und letztendlich fünf Kindern lebte. Wie damals in Gießen üblich, benutzte Liebig zunächst ein Privatzimmer im Obergeschoß stundenweise als Hörsaal für seine anfangs 12 Studenten.
Durch seinen großen Arbeitseifer und die schnell steigende Anzahl seiner Studenten bei beengten Laborverhältnissen hatte Liebig sich zu Beginn des Jahres 1832 völlig überarbeitet und war einem Zusammenbruch nahe. Um sich aus diesen Widrigkeiten zu befreien, plante er eine Übersiedlung nach Darmstadt, um dort eine private Chemieschule aufzubauen. Dem Kanzler der Universität, Justin von Linde, lag aber sehr daran, Liebig in Gießen zu halten. So erklärte er sich nach Rücksprache mit dem Ministerium bereit, an das Laborgebäude nach Südwesten hin einen Anbau zu errichten, in dem Liebig ein eigenes Arbeitszimmer und ein Privatlabor erhielt. Im Obergeschoß des Anbaus wurden Wohnzimmer erstellt, die Liebig zur Verfügung standen. Er brachte dort seine Gäste unter und vermietete einen Teil der Räume an Studenten.
Als Liebig im Sommer 1838 einen Ruf an die Universität St. Petersburg in Russland erhielt, konnte er in Bleibeverhandlungen erreichen, dass ihm der Kanzler einen weiteren Anbau zugebilligte. So wurde in den Jahren 1839/40 nach den Plänen des Gießener Architekten Joh. Phil. Hofmann an das vorhandene Laboratorium ein eingeschossiger Querflügel angebaut. Hier konnte das Pharmazeutische Laboratorium, eine Bibliothek, ein zweites Wägezimmer, ein Analytisches Labor und ein Hörsaal mit 70 Plätzen untergebracht werden. Vor allem die Einrichtung des Analytischen Labors war für damalige Verhältnisse ganz ungewöhnlich und praktisch so richtungsweisend, dass sie in der Folge zum Vorbild und „zur Mutter aller chemischen Institute des ganzen Welt“ (Aussage des Chemikers Prof. A. W. von Hofmann) wurde.
Durch die Bleibeverhandlungen hatten sich auch die finanziellen Verhältnisse Liebigs erheblich gebessert. An der Frankfurter Straße (heute Nr. 12) baute er ein mehrstöckiges Wohnhaus, das er als Alterssitz zu nutzen gedachte. Im Hinterhaus lagen Räume für ein Labor, in dem er gegebenenfalls seine Versuche im Ruhestand fortsetzen wollte.
Anfang der 50er Jahre bemühte sich Prof. Max von Pettenkofer, Liebig an die Universität München zu holen. Liebig konnte sich dazu nicht entschließen, weil er sich verpflichtet fühlte, seinem Vaterland Hessen treu zu bleiben. Als sich aber der bayerische König Maximilian persönlich einschaltete, Liebig zu einer Audienz einlud und ihm bei dieser Gelegenheit ein neues Chemisches Institut mit großem Privathaus ganz nach Liebigs Wünschen und völlige Freiheit in Forschung und Lehre versprach, konnte er nicht mehr Nein sagen. Im Sommer 1852 verließ Liebig Gießen, wo er insgesamt 28 Jahre gewirkt hatte. Durch seine Forschungen, seine Lehrtätigkeit und seine Veröffentlichungen auf dem Gebiete der Chemie, der Pharmazie und der Physiologie hatte er Weltruhm erlangt. Sein Laboratorium war zum Mekka für Chemiker aus aller Herren Länder geworden.
In den Folgejahren nutzte die Universität den Gesamtkomplex des Liebig-Laboratoriums ohne wesentliche Veränderungen weiterhin als Chemisches Institut. Sein Nachfolger wurde sein Schüler und Assistent Prof. Dr. Heinrich Will. Diesem folgte im Jahre 1882 Prof. Dr. Alexander Naumann. Für die schnell steigende Anzahl der Chemie-Studenten war das Liebig-Laboratorium allmählich sehr eng, ja zu eng geworden. Deshalb wurde an der Ludwigstraße neben dem Universitäts-Hauptgebäude ein neues Chemisches Institut gebaut, in das Prof. Naumann mit seinen Mitarbeitern im Herbst 1888 einziehen konnte.
Einen kleinen Teil des nunmehr frei gewordenen Liebig-Laboratoriums bezog das Physikalisch-Chemische (Elektrochemische) Institut der Universität. Der größere Teil der Räume diente als Lehrstätte für die neuen Fächer Bakteriologie und Hygiene. Ordinarius war hier der später berühmte Prof. Dr. Georg Gaffky, der am 1. Oktober 1888 den neugeschaffenen Lehrstuhl für Hygiene übernahm und 1904 als Nachfolger seines Lehrers Robert Koch nach Berlin ging. In seinen Gießener Jahren war er nicht nur ein angesehener Universitätslehrer, sondern er erwarb sich auch hohe Verdienste um die bauliche Entwicklung und sachgerechte Kanalisation des bis dahin recht „feuchten Nestes“ Gießen. Als Dank und Anerkennung seiner Leistungen erhielt er am 15. September 1904 den Ehrenbürgerbrief der Stadt Gießen.
Der ehemalige Hörsaal des Liebig-Laboratoriums fand in der Zeit von 1888 bis 1904 als Küche der benachbarten „Alten Klinik“ Verwendung.
Bei der Umwidmung der Labor-Gebäude im Jahre 1888 regte der hessische Großherzog Ernst-Ludwig an, alle aus Liebigs Zeiten stammenden Einrichtungsgegenstände wie Mobiliar, Geräte und Apparate sorgfältig aufzubewahren. Durch diese Maßnahme blieb der größte Teil der Einrichtung erhalten und konnte später im Museum wiederverwendet werden.
Auf Empfehlung von Prof. Gaffky wurde 1891 ein „Chemisches Untersuchungsamt für die Provinz Oberhessen“ ins Leben gerufen. Es hatte die Aufgabe, Lebensmittel, Getränke, Genussmittel und Dinge des täglichen Gebrauchs auf gesundheitliche und hygienische Unbedenklichkeit zu überprüfen. Für die Anfangszeit war es Prof. Gaffky unterstellt und hatte sein Domizil auch im gleichen Gebäude wie sein Hygiene-Institut, d. h. im ehemaligen Liebig-Laboratorium. Infolge seiner zahlreichen Aufgaben wurde das neue Untersuchungsamt schnell personell und flächenmäßig erweitert. Die Leitung wurde nun Dr. Traugott Günther (bis 1910) übertragen.
Das Liebig-Laboratorium war für die Bedürfnisse des Hygiene-Instituts und das schnell wachsende Untersuchungsamt allmählich zu klein geworden. Für Prof. Gaffky wurde ein neues Hygiene-Institut an der Frankfurter Straße (heute Nr. 89-91) errichtet, in das er im Frühjahr 1896 einziehen konnte. Auch das Chemische Untersuchungsamt zog aus und erhielt als neue Unterkunft das westliche Torhaus am Walltor.
Im gleichen Jahre verkaufte der hessische Staat das ganze Gelände der „Alten Klinik“ mit den beiden Wachhäusern an die Stadt Gießen. Das Liebig-Laboratorium wurde nun Prof. Elbs unterstellt, der dort sein physikalisch-chemisches Praktikum nebst Vorlesungen abhielt. Es war dies aber nur eine Übergangslösung, denn Prof. Elbs bezog 1898 mit seinen Mitarbeitern einen Neubau. Das Liebig-Laboratorium stand nun vorübergehend leer und die Stadt Gießen erwog ernsthaft, das stark renovierungsbedürftige Gebäude abzureißen.
Im selben Jahr fragte ein Anonymus (es war Heinrich Vaubel, Chemiker in Darmstadt, der als Student unter Prof. Naumann noch im Liebig-Labor gearbeitet hatte) in der Chemiker-Zeitung Nr. 101, 1898:„Was wird aus dem alten, auch in seinem schmucklosen Gewande ehrwürdigen Laboratorium von Justus von Liebig, der hier als erster in Deutschland einen für die damalige Zeit als Musterstätte geltenden Bau für den praktischen Unterricht in der Chemie schuf?…. Bei richtiger Ausführung ließe sich auch mit dem unscheinbaren Gebäude des Liebig-Laboratoriums eine effektvolle Wirkung erzielen.“
Der Geheime Medizinalrat Prof. Dr. Robert Sommer, Ordinarius für Psychiatrie und ein vielseitig interessierter Mann, griff diesen Gedanken auf und trat mit dem ganzen Elan seiner Persönlichkeit dafür ein. Er entwickelte Pläne für ein zukünftiges Museum und für die Ausgestaltung seiner Umgebung. Seine Vorstellungen veröffentlichte er mit erklärenden Skizzen im „Gießener Anzeiger“ vom 23. November 1898 und in der Chemiker-Zeitung, Band 23, No. 9, 1898.
Die hundertste Wiederkehr von Liebigs Geburtstag wurde 1903 in Darmstadt gebührend gefeiert. Bei dieser Gelegenheit waren es Prof. Dr. Jacob Volhard, ein Schüler Liebigs, Medizinalrat Dr. Emanuel August Merck, dessen Familie mit Liebig befreundet gewesen war und ihm viele Anregungen verdankte, und Geheimrat Nikodem Caro, ein Großindustrieller, die sich unüberhörbar für die Errichtung eines Liebig-Museums in Gießen einsetzten. Die Großherzogliche Regierung stand dem Plan mit Sympathie gegenüber und sagte ihre Unterstützung zu, im Besonderen hinsichtlich des Erwerbs des Grundstückes.
In den Folgejahren warb Prof. Sommer durch Reden und Aufsätze in Zeitschriften für die Erhaltung des Liebig-Laboratoriums und dessen spätere Wiedereinrichtung als Museum. Unterstützt wurde er hierbei vor allem durch den Geheimen Medizinalrat Dr. E. A. Merck, Darmstadt. Nach einem werbenden Vortrag von Prof. Sommer im Dezember 1909 schlossen sich begeisterte Anhänger der Idee eines Liebig-Museums zu einem „Arbeitsausschuss zur Erhaltung des Gießener Liebig-Laboratoriums“ zusammen. Er bestand aus den Herren Prof. Dr. Jacob Volhard, Halle a.d. Saale, Dr. Emanuel A. Merck, Darmstadt, Prof. Dr. Robert Sommer, Gießen, Prof. Dr. Otto Behaghel, Gießen, Dr. Max Buchner, Mannheim, Direktor Fritz Lüty, Mannheim, Prof. Dr. G. Krause, Köthen, Dr. C. Thomae, Gießen und Oberbürgermeister A. Mecum, Gießen.
Der Arbeitsausschuss richtete umgehend an die Bürgermeisterei und die Stadtverordneten-Versammlung der Stadt Gießen das Gesuch, ihm die unteren Räume des Liebig-Laboratoriums zu vermieten. Auf dieses Gesuch hin hat die Stadtverordneten-Versammlung in einer geheimen Sitzung am 4. August 1910 beschlossen: 1. das Gesuch abzulehnen, 2. sich mit dem Verkauf des Laboratoriums für 60.000 Reichsmark einverstanden zu erklären, sofern noch im Laufe des Monats August (d.h. innerhalb von 27 Tagen) eine bindende Zusage vorliege. Dr. Emanuel A. Merck verbürgte sich für den Betrag und ermöglichte dadurch den Erwerb des historischen Gebäudes.
Ein erster öffentlicher Aufruf in Zeitungen und Zeitschriften erweckte allgemeines Interesse und erbrachte namhafte Spenden von Einzelpersonen und aus der Industrie. Im Oktober 1910 wurde die „Gesellschaft Liebig-Museum“ mit dem Sitz in Gießen gegründet. Satzungsgemäße Aufgabe war „Erhaltung, Erwerbung und Wiederherstellung des Liebig-Laboratoriums und die Errichtung eines Liebig-Museums in seinen Räumen“. Zum 1. Vorsitzenden wurde der Geheime Medizinalrat Dr. E. A. Merck und zum 2. Vorsitzenden der Geheime Medizinalrat Prof. Dr. Robert Sommer gewählt. Der damalige Großherzog Ernst Ludwig von Hessen übernahm das Protektorat.
In den Folgejahren schrieben Geheimrat Dr. Merck und Prof. Sommer viele Briefe an Persönlichkeiten aus Industrie und Wirtschaft, warben für den Wiederaufbau des Laboratoriums und baten um Zuwendungen. Der Erfolg blieb nicht aus: Die Spenden flossen reichlich und es wurde möglich, das Liebig-Laboratoriums wieder herzustellen: Die Mauern konnten restauriert, der Außenputz erneuert und das Dach neu eingedeckt werden.
Der erste Weltkrieg (1914-1918) hemmte alle Aktivitäten, brachte sie aber nicht vollends zum Erliegen: Im Innenbereich konnte nunmehr das meiste nach den alten noch erhaltenen Plänen rekonstruiert werden. Dabei reaktivierte man auch den inzwischen zugemauerten Kaliofen im Analytischen Labor. Ein großer Teil der Originalgeräte und -Möbel konnte wiedergefunden oder erworben werden. Andere wurden nach aufgefundenen Zeichnungen nachgebaut.
Ein besonders wertvoller Zuwachs waren zahlreiche Schriften, Bücher, Briefe und andere Gegenstände, die von Angehörigen der Familie Liebig, von Freunden und ehemaligen Schülern Liebigs geschenkt wurden. Auf diese Weise konnten die meisten Laboratorien, der Hörsaal sowie Liebigs Arbeitszimmer und sein Privatlabor fast so eingerichtet werden, wie sie zur Zeit des Meisters waren. Die Krone auf die Restaurierungsbemühungen setzte der Geheime Medizinalrat Dr. Emanuel A. Merck, in dem er das von ihm 1910 erworbene Gebäude des Liebig-Laboratoriums im Jahre 1918 der Gesellschaft Liebig-Museum schenkte. Sie ist seither die Eigentümerin.
Zwei Jahre später war es so weit: Am 26. März 1920 konnte das Liebig-Museum von Prof. Sommer in Anwesenheit der Honoratioren der Stadt, der Universität und vieler Gießener Bürger feierlich eröffnet werden. Der Festakt fand in der Neuen Aula der Universität statt mit Glückwünschen von vielen Seiten und mehreren Festvorträgen. Zum Abschluss der Einweihungsfeierlichkeiten führte das Gießener Stadttheater am Abend „Die chemische Hexenküche“ auf, ein Spiel in 4 Szenen, das Prof. Sommer zu diesem Zweck verfasst hatte. Darin hatte er nicht nur den Werdegang Justus Liebigs und sein Leben in humorvoller Weise dargestellt, sondern auch den lokalgeschichtlichen Hintergrund in sehr ansprechender Form berücksichtigt. Die Zuschauer im ausverkauften Hause waren begeistert.
In den folgenden Jahren zog das Museum einen ständig steigenden Strom von Besuchern aus aller Welt, Wissenschaftler ebenso wie Laien, in seine Mauern. Auch die Anzahl der Mitglieder der Gesellschaft Liebig-Museum stieg an.
Aber auch die Probleme blieben nicht aus: Die extreme Geldinflation der Jahre 1920 bis 1925 ging an dem Liebig-Museum nicht spurlos vorüber. Die Fortführung des Museums als Gedenk- und Forschungsstätte für Liebig und sein Lebenswerk war von Jahr zu Jahr schwieriger geworden. Nach der Einführung der Reichsmark im Oktober 1925 war das Museum praktisch mittellos. Die Wende zum Positiven brachte ein erneuter Spendenaufruf in Fach- und Tageszeitungen. Erhebliche Gelder wurden von der Industrie und vielen Privatpersonen gespendet. Der Fortbestand des Museums war dadurch gesichert.
Aus Anlass der 125. Wiederkehr von Justus Liebigs Geburtstag fand am 12. Mai 1928 in Bad Salzhausen die Enthüllung einer Liebig-Gedenktafel am dortigen „Laboratorium“ statt. Diese Räume hatte Liebig benutzt, als er in den ersten Jahren seiner Gießener Tätigkeit die Zusammensetzung der Salzhausener Quellen untersuchte und eine industrielle Salzgewinnung anregte, die jahrelang auch betrieben wurde.
Zwei Monate später hatte die Stadt Gießen zu Ehren Liebigs Flaggenschmuck angelegt. Ein Empfangsausschuss begrüßte die Gäste aus dem In- und Ausland vor dem Museum. Anschließend folgte eine Besichtigung der Räume unter Führung von Prof. Sommer, der insbesondere anhand der Öfen, Abzüge und Apparate darauf hinwies, wie Liebig hier in systematischer Arbeit eine neue Technik des Unterrichts entwickelt hatte, die seither Generationen von Naturwissenschaftlern zu Gute gekommen war. – Am Nachmittag beendete ein Gang zum Liebig-Denkmal an der Ostanlage und danach eine Wanderung zur Liebigshöhe die eindrucksvolle Tagung.
Bei der Einweihung des Liebig-Museums im Jahre 1920 war einzig das Pharmazeutische Labor nicht fertig gewesen, weil die Firma, die die eisernen Herde nach den alten Plänen herstellen sollte, im Kriege zunächst ganz auf Waffenproduktion umgestellt worden und später in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Der Auftrag war schon 1914 erteilt worden, vorübergehend zurückgestellt und letztlich erst 1930 ausgeführt worden. Das Pharmazeutische Laboratorium, das nun in mühevoller Kleinarbeit wieder ganz in seiner ursprünglichen Form restauriert worden war, kann man als die Keimzelle der deutschen Chemisch-Pharmazeutischen Industrie betrachten. Am 19. Juli 1930 konnte das Labor im Rahmen der jährlichen Mitgliederversammlung eingeweiht und damit der Öffentlichkeit übergeben werden.
Prof. Dr. Robert Sommer, der Gründer, langjährige Leiter der Renovierungsarbeiten im Liebig-Laboratorium und spätere Vorsitzende der Gesellschaft Liebig-Museum e.V. Gießen, starb am 2. Februar 1937 im Alter von 73 Jahren. Ohne ihn wäre das Museum vielleicht nicht entstanden. – Auf der Mitgliederversammlung im Juli wurde Herr Dr. Fritz Merck, der Sohn des Museumsgründers und großzügigen Sponsors Geheimrat Dr. Emanuel A. Merck, zum 1. Vorsitzenden der Gesellschaft und Prof. Dr. Ernst Weitz, Gießen, zum 2. Vorsitzenden gewählt.
Der zweite Weltkrieg (1939-1945) überschattete die Weiterentwicklung des Museums: Die Besucherzahlen gingen stark zurück und Verbesserungen im Museum konnten, da nicht kriegswichtig, kaum mehr ausgeführt werden. Die Katastrophe kam am 6. Dezember 1944, als bei einem Fliegerangriff auf Gießen das „Alte Labor“ im vorderen Teil des Gebäudes durch eine Bombe zerstört wurde. Die Bombe fiel durch das Dach bis in den Keller und explodierte dort, wodurch das Dach, die Zwischendecken und ein Teil des Gemäuers einstürzten. Die rechtzeitig magazinierten Bestände an Briefen, Büchern und Gerätschaften blieben aber im Wesentlichen erhalten. Der Magistrat der Stadt Gießen ließ das Gebäude sofort wenigstens soweit instand setzen, dass es vor Witterungseinflüssen geschützt war. Das Museum musste aber für mehrere Jahre geschlossen werden.
Nach dem Kriege war wegen der zahlreichen und umfangreichen Zerstörungen an Wohn- und Geschäftshäusern in Gießen an eine Beseitigung aller Schäden am Liebig-Museum zunächst nicht zu denken. Nach der Währungsreform (Juni 1948) besserte sich die Lage aber überraschend schnell und so konnte eine gewisse an den geringen geldlichen Mitteln orientierte Renovierung beginnen. Auch die Stadtverwaltung war bereit, die Beseitigung der schwerwiegendsten Schäden an den Gebäuden finanziell zu unterstützen.
Im Obergeschoß des Liebig-Museums wohnten in diesen Jahren verschiedene in Gießen ausgebombte Familien. Im Hörsaal war die Nähstube der Arbeiterwohlfahrt untergebracht. In anderen Räumen hatten die CDU und ein Gießener Kaufmann ihre Büros. Die übrigen Räume wurden seit Jahren weder gepflegt noch gereinigt und wegen der allgemeinen Kohlenknappheit auch nicht geheizt. Vor allem die an den Wänden hängenden Bilder haben unter diesen feucht-kalten Verhältnissen sehr gelitten.
Da das Liebig-Haus in Darmstadt im Kriege vollständig zerbombt und die Stadt durch den Wiederaufbau zerstörter Wohnungen finanziell sehr angespannt war, sah sie sich außerstande, ein neues Liebig-Haus zu errichten. Infolge dieser Situation beschloss die „Vereinigung Liebig-Haus e.V. Darmstadt“ im Juli 1950 ihre Auflösung. Die geretteten Bestände der Vereinigung an alten Akten, Briefen, Büchern, Plaketten und Photographien wurden teils dem Hessischen Staatsarchiv, teils der Gesellschaft Liebig-Museum e.V. Gießen übergeben.
Zu den Bildern gehörte auch ein Portrait Liebigs etwa aus dem Jahre 1856. Dieses Bild wurde von dem Maler Wilhelm Trautschold zweifach gemalt. Das eine Bild erhielt Moritz Carrière, der Schwiegersohn Liebigs. Das andere Bild ging an die Familie Muspratt in Liverpool, mit der Liebig eng befreundet war. Die Tochter Julia Muspratt überließ das Gemälde später der Chemical Society of London. Diese ließ 1929 von dem Bild eine Kopie anfertigen, die sie der befreundeten Deutschen Chemischen Gesellschaft schenkte. Letztere suchte einen würdigen Standort für das Bild und entschied sich schließlich für die „Vereinigung Liebig-Haus e.V. Darmstadt“. Mit der Auflösung der Vereinigung kam das Bild nun zum Liebig-Museum in Gießen.
Das Carrière-Bild lieh sich 1906 der hessische Großherzog Ernst Ludwig aus und ließ hiervon durch die Berliner Malerin Pichon zwei gute Kopien herstellen. Die eine schenkte er der Gießener Universität (sie hängt dort heute in der Aula), die andere dem Deutschen Museum in München.
Ein weiteres Liebig-Portrait schuf 1849 der Maler Heinrich von Hofmann für die englische Queen Victoria. Dieses Bild hängt im Buckingham Palast in London.
Im Herbst 1950 erkannte Dr. Fritz Merck, dass die aus dem Kriege verbliebenen Schäden am Liebig-Museum insgesamt so groß waren, dass sie nicht aus eigener Kraft behoben werden konnten. Deshalb trat er mit einem Aufruf an die Industrie und viele Einzelpersonen im In- und Ausland heran, um für Spenden zum Wiederaufbau des Museums zu werben. Da der erste Aufruf nicht genügend Geld erbrachte, ließ er im Januar 1951 einen zweiten folgen.
Mit den gespendeten Geldern konnte eine Reparatur des Daches, der Außenwände und der eingestürzten Zwischendecken vorgenommen werden. Nur die Restaurierung des zerstörten Alten Labors musste noch zurückgestellt werden. Um die Exponate, Bilder, Schriften usw. des Liebig-Museums vor Einbruch und Diebstahl zu schützen, wurden alle Fenster im Erdgeschoß mit Eisengittern versehen.
Am 1. Juli 1952 war es endlich möglich, die Pforten des Liebig-Museums wieder für Besucher zu öffnen. Als Auftakt veranstaltete die Gießener Studentenschaft am Vorabend der Feier einen Fackelzug durch die Gießener Straßen zu Ehren Liebigs. Zu dem Festakt am Vormittag waren 15 Angehörige der Familie Liebig erschienen, darunter Dr. Heinrich Freiherr von Liebig, der letzte Träger des Freiherrlichen Namens. Den Festvortrag über das Thema „Liebig und seine Zeit“ hielt Prof. Dr. Hartner, Frankfurt. Am Nachmittag im Hörsaal folgte auf die Darstellung der „Geschichte des Liebig’schen Laboratoriums“ durch Herrn Dr. Fritz Merck die eigentliche Eröffnung mit einem Rundgang durch die Räume des wiederhergestellten Museums.
Im folgenden Jahre am 12. Mai wurde gemeinsam mit der Stadt Gießen und der Justus-Liebig-Hochschule der 150. Geburtstag des Meisters mit der Enthüllung des neuen Liebig-Denkmals an der Ostanlage und einer Kranzniederlegung gefeiert. Das Denkmal besteht aus einer Säule, die auf einem seitlichen Podest den Kopf Liebigs trägt. Der Kopf aus Marmor ist das Original vom alten, 1945 zerstörten Liebig-Denkmal.
Der Festakt fand zuvor im Stadttheater statt, wo der Rektor der Gießener Hochschule die Wiedereinführung des Justus-von-Liebig-Preises für hervorragende Doktorarbeiten verkündete. Anschließend hielt der Nobelpreisträger Prof. Dr. Adolf Butenandt, Tübingen, den Festvortrag über „Der intermediäre Tryptophan-Stoffwechsel als Beispiel für die Entwicklungslinien biochemischer Forschung seit dem Wirken Liebigs.“ Ein Teil der Anwesenden besuchte am Nachmittag das Liebig-Museum, wo eine Führung von Dr. Fritz Merck stattfand. Prof. Butenandt war von der Darstellung der Liebig’schen Forschung tief beeindruckt. „Wie in einem Gotteshaus kommt man sich vor“, sagte er beim Abschluss des Rundganges.
Im gleichen Jahre schloss Frau Herta von Dechend, Assistentin am Institut für Geschichte der Naturwissenschaften in Frankfurt, ihre von der Gesellschaft Liebig-Museum finanziell geförderte Doktorarbeit über „Justus von Liebig in eigenen Zeugnissen und denen seiner Zeitgenossen“ ab. Die Arbeit erschien gleichzeitig als Buch im Verlag Chemie, Weinheim.
Etwa zur gleichen Zeit gelang es, ein Bild des Chemischen Instituts in München zu erwerben, das König Maximilian I. von Bayern nach Liebigs Vorstellungen für diesen bauen ließ. Das Institut, an der Arcisstraße 1 (heute Meiserstraße 1) gelegen, stieß direkt an das stattliche Wohnhaus der Familie Liebig an. Die Räume waren so weitläufig, dass Liebig zu besonderen Anlässen annähernd 200 Personen einladen und bewirten konnte. Institut und Wohnhaus wurden im zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört und später abgetragen.
Das im Kriege schwer beschädigte „Alte Labor“ konnte 1956 in mühseliger Kleinarbeit wieder hergestellt und in das Museum eingegliedert werden. Zur Ausstattung des Labors mit Gegenständen wurde der Gesellschaft vom Deutschen Apotheken-Museum, das zu dieser Zeit sein Domizil noch im Bamberger Schloss hatte, eine Anzahl alter Original-Retorten, -Destillierapparate und -Schmelztiegel überlassen, wie sie zur Zeit Liebigs verwendet wurden.
Im Sommer 1957 feierte die Gießener Hochschule ihr 350jähriges Bestehen und wurde bei dieser Gelegenheit in die Justus-Liebig-Universität umgewandelt. In der Festveranstaltung wurde u. a. auch Dr. Fritz Merck, Darmstadt, der langjährige 1. Vorsitzende der Gesellschaft Liebig-Museum für seine Verdienste um den Wiederaufbau des Liebig-Museums, die Förderung der Liebig-Forschung und die Förderung der chemischen Forschung zum Ehrensenator der Justus-Liebig-Universität Gießen ernannt.
Eine zusätzliche Ehrung erfuhr das Liebig-Museum als der Bundespräsident, Prof. Dr. Theodor Heuß, zur Jahresfeier der Justus-Liebig-Universität am 1. Juli 1959 erschien. Am Nachmittag besichtigte er in Begleitung des hessischen Bildungsministers Prof. Schütte, des Gießener Oberbürgermeisters Oswald und des Rektors der Universität, Prof. Ankel, unter Führung von Dr. Fritz Merck das Liebig-Museum, die Gedenkstätte für den Großvater seiner Ehefrau. Prof. Heuß zeigte sich an vielen Einzelheiten interessiert, hatte er doch vor Jahren selbst ein Broschüre über Liebig verfasst mit dem Titel „Justus von Liebig, vom Genius des Forschens“.
Wenig später begann sich die Umgebung des Liebig-Museums radikal zu verändern, denn die Bundespost ließ im Frühjahr 1962 unmittelbar neben dem Liebig-Museum eine 11 m tiefe Baugrube ausheben zur Errichtung eines vielstöckigen Fernmeldeamtes. Die Post war immerhin bereit, auf die Belange des Liebig-Museums Rücksicht zu nehmen. So wurde das Fundament des Museums durch eine Betonuntermauerung gefestigt, um einen Einsturz der Außenwand zu verhindern. Zwei Jahre später war der gigantische Bau fertiggestellt. Er überragt das Museum beträchtlich und lässt es nun vergleichsweise winzig erscheinen.
Ein weiterer Anschlag auf das Liebig-Museum ging von der Stadt Gießen aus, die 1967 in einem Planfeststellungsverfahren die Absicht äußerte, die Stufen vor der Stirnseite des Museums zu beseitigen. Dieses Vorhaben, das das Aussehen des unter Denkmalschutz stehenden Museums an der Portalseite völlig verändert hätte, konnte in letzter Minute mit Hilfe des Landeskonservators durch Einspruch verhindert werden.
Andererseits erhielt das Museum auch eine Bereicherung, als 1968 das Geburtshaus des großen in Gießen geborenen Chemikers A. W. von Hofmann am Selterstor (älteren Gießenern bekannt als Café Hettler) abgerissen wurde, um einem Geschäftshaus Platz zu machen. Die an dem Hause befindliche Gedenktafel wurde vor dem Abbruch aus der Mauer gelöst und im Eingangs-Flur des Liebig-Museums aufgestellt.
Danach kehrte im Museum relative Ruhe ein. Das Gebäude war im Wesentlichen saniert und die Innenräume renoviert. Die Exponate waren im Rahmen des Möglichen wieder vollständig, allerdings teilweise in schlechtem Zustand. Doch zu ihrer Restaurierung fehlte einerseits das Geld, andererseits eine fachkundige Person in Gießen und schließlich wurde auch die Meinung vertreten, dass in einem Museum die aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Exponate nicht wie neu aussehen müssten.
Im Laufe der Jahre stellte sich aber heraus, dass die Heizung des Museums im Winterhalbjahr den Etat mit beträchtlichen und ständig steigenden Summen belastete. Die Ursache hierfür lag auf der Hand: Die Museumsräume waren nach außen schlecht isoliert. Außerdem nagte der Zahn der Zeit an der Außenfassade, so dass sie Risse bekam und stärker geschädigte Teile abbröckelten. Und schließlich war auch das mittlerweile 80 Jahre alte Dach so marode, dass es jährlich größere Reparaturen benötigte, um halbwegs dicht zu bleiben.
Der Vorstand des Museums trat in dieser Situation an befreundete Industrieunternehmen heran mit der Bitte um Hilfe. Die Antwort kann mit dem Bibelwort umschrieben werden: „Wer bittet, dem soll gegeben werden“ (Matt.7,7). Die Fa. Bayer AG, Leverkusen, erklärte sich bereit, den Einbau von Doppelfenstern in allen Räumen des Museums zu finanzieren. Und die Gießener Fa. Canon Gießen GmbH spendete Geld für eine Generalrenovierung der Außenfassade.
Mit der Neueindeckung des Daches gab es allerdings nicht nur finanzielle sondern auch sachliche Probleme insofern, als die Denkmalschutz-Behörde anstelle des vorhandenen Daches aus Biberschwanz-Ziegeln ein solches aus Schiefer wünschte, welches mindestens 50% mehr kosten würde. Aus den eigenen Mitteln standen aber nur die Ersparnisse aus mehreren Jahren in Höhe von DM 120.000 zur Verfügung. Schließlich erklärten sich nach längeren Verhandlungen das Hessische Landesamt für Denkmalsschutz in Wiesbaden und die Stadt Gießen bereit, den Differenzbetrag für die geforderte Eindeckung in Schiefer bereitzustellen. So konnte im Jahre 1995 als letzte aber sehr wichtige Maßnahme zur langfristigen Erhaltung der Bausubstanz des Liebig-Museums das Dach völlig erneuert werden.
Die Außenhaut des Museums befand sich somit 1995 in einem einwandfreien Zustand. Alle weiteren Maßnahmen konnten sich nun auf die Verbesserung der Innenräume und der Exponate konzentrieren.
Ein Museum ist kein Selbstzweck, sondern es soll eine Aufgabe erfüllen. Im Falle des Liebig-Museums heißt das Ziel: Forschung über Liebigs Lebenswerk und Darstellung von Liebigs Leben und Schaffen in Gießen für jeden interessierten Besucher. Und es versteht sich von selbst, dass es möglichst viele Besucher sein sollten. Wie aber macht man ein Museum attraktiv und für jederman sehenswert?
Die Antwort ist leicht, aber schwer zu realisieren: Das Museum muss mit seinen Ausstellungsstücken und deren leicht verständlicher Darstellung den Besucher interessieren, ihn ansprechen und so sehr beeindrucken, dass er sich durch das Gesehene bereichert fühlt und er es möglichst lange als angenehme Erinnerung im Gedächtnis behält.
Damit ist ein Problem angesprochen, das schon seit der Eröffnung des Museums im Jahre 1920 bestand. Es war der Umstand, dass für eine Einzelperson der Besuch des Museums im Allgemeinen zwar ganz interessant sein mag; es bleiben ihm aber viele Einzelheiten verborgen. Erst im Rahmen einer Führung durch eine fachkundige Person kann auf viele interessante Details hingewiesen werden, kann auf die Geschichte und Bedeutung einzelner Geräte und Apparate aufmerksam gemacht werden, kann auch auf die anekdotenhaften Episoden, die mit einzelnen Personen oder Geräten verbunden sind, eingegangen werden.
Einen ersten Anlauf zur Behebung dieses Mangels unternahmen die Professoren Dr. Fritz Kröhnke und Dr. Willi Weis, als sie 1964 die kleine Broschüre „Justus von Liebig und das Gießener Liebig-Museum“ verfassten. Sie sollte den Besuchern ohne fachkundige Führung ein Zurechtfinden im Museum und das Verständnis des Gesehenen erleichtern.
Wesentlich verbessert wurde diese Information, als Dr. Siegfried Heilenz 1982 eine Dia-Schau mit Bildern aus Liebigs Leben und Schaffen zur allgemeinen Einführung im Hörsaal des Liebig-Museums installierte, die jedem Besucher zu Beginn seines Rundganges vorgeführt wurde.
Gleichzeitig gestaltete er einen farbig illustrierten Führer für „Das Liebig-Museum in Gießen“, der detailliert über Liebig und die im Museum gezeigten Gerätschaften Auskunft gibt. Schließlich brachte er noch die Broschüre „Eine Führung durch das Liebig-Museum in Gießen“ heraus, mit deren Hilfe er den Besucher durch das ganze Museum begleitet, auf Besonderheiten in jedem Raum hinweist und zuweilen auch Anekdoten zu bestimmten Exponaten erzählt. Mit diesem Informationsmaterial kann der Besucher, wenn er sich die Zeit dazu nimmt, gemächlich durch das ganze Museum streifen und sich aus den Heften alle wesentlichen Ausstellungsstücke kompetent und ansprechend erklären lassen.
Natürlich sind nicht alle Besucher Deutsche, sondern es kommen auch viele Ausländer aus allen Teilen der Welt. Ihrer Wissbegier wird dadurch Rechnung getragen, dass der oben angeführte Führer zweisprachig ist – entweder Deutsch/Englisch oder Deutsch/Französisch.
Zusätzlich zu den Museumsführern gab es Audioguides, diese wurden 2017 durch moderne, mittels Smartphone-QR-Codes abrufbare Hörbeiträge ersetzt.
Die beste Möglichkeit, das Museum kennen zu lernen, ist und bleibt aber eine kompetente Führung, eventuell verbunden mit einer Experimentalvorlesung, wie sie zu Zeiten Liebigs üblich war. Auf diese Weise erschließt sich dem Besucher die ganze Tragweite der Liebig’schen Forschung und ihre Bedeutung auch für die heutigen Menschen. In der Experimentalvorlesung lässt sich wenigstens andeutungsweise darstellen, mit welchen vergleichsweise einfachen Mitteln Liebig Entdeckungen und Erfindungen machte, die eine ganz neue Wissenschaft (die Organische Chemie) und einen ganzen Industriezweig begründeten (die Chemische und die Pharmazeutische Industrie).
Im Übrigen ist das Liebig-Museum nicht dort stehen geblieben, wo es schon vor 50 oder 60 Jahren war, sondern es ist weiterhin bemüht, interessante Ausstellungsstücke, die mit Liebig in Zusammenhang stehen, zu erwerben. So konnten in den letzten Jahren verschiedene Möbel Liebigs und Gemälde von Mitgliedern seiner Familie, Bilder seiner Freunde, seiner Mitarbeiter und Schüler und natürlich Briefe von und an Liebig und zahlreiche Dokumente beschafft werden.
Der Träger des Museums, die Gesellschaft Liebig-Museum Gießen e.V., hat sich 1989 einen neuen Namen gegeben und nennt sich seither „Justus Liebig-Gesellschaft e.V. zu Gießen“. Verbunden mit dieser Namensänderung war die Absicht, aus der ausschließlichen Museumsarbeit herauszutreten und neben den bisherigen Aufgaben verstärkt durch wissenschaftliche Arbeiten, Veröffentlichungen und Tagungen das Wissen über das Leben und Wirken Liebigs und dessen Bedeutung für den heutigen Menschen zu beleben.
Wie oben erwähnt, konnte Frau Herta von Dechend bereits 1953 ihre Doktorarbeit über Liebigs Schaffen mit Unterstützung der damaligen Gesellschaft Liebig-Museum durchführen. In ihre Fußstapfen trat 1987 Patrik E. Munday, ein Doktorand der Cornell University in New York / USA, der drei Wochen lang Liebig-Briefe, Dokumente und Bücher des Liebig-Museum sichtete und für seine Arbeit Notizen und Kopien anfertigte. Die daraus entstandene Doktorarbeit beschäftigt sich mit dem sozialen Aufstieg Liebigs, bedingt durch sein Studium und seine späteren Erfolge, und der weltweiten Bedeutung seiner „Agrikulturchemie“.
Ihm folgte 1989 Mark Finlay, ein Doktorand der Iowa State University in Ames, Iowa / USA, der zu 4-wöchigen Forschungsarbeiten über Liebig in unserem Dokumenten-Archiv und unserer Bibliothek hospitierte. Das Ergebnis war eine Doktorarbeit über den Aufbau und die Entwicklung der deutschen landwirtschaftlichen Versuchsstationen im vorigen Jahrhundert, deren Zusammenwirken mit Liebig und ihr großer Einfluss auf die Akzeptanz der Liebig’schen Lehren.
Nicht nur Doktoranden der Geschichte der Naturwissenschaften interessieren sich weiterhin für Justus Liebig, auch eine Reihe von Autoren haben sich mit Liebigs Leben und seinen Werken beschäftigt und wurden hierbei durch das Liebig-Museum mit Kopien von Liebig-Briefen, Dokumenten und Bildern unterstützt. Auf diese Weise ist eine Reihe von Büchern und Arbeiten erschienen, die Liebigs Leben unter verschiedenen Aspekten beschreiben.
Direkt von der Justus Liebig-Gesellschaft zu Gießen e.V. initiiert, geplant und in Zusammenarbeit mit der Justus-Liebig-Universität durchgeführt wurden mehrere Symposien, die Liebigs Leben beleuchten oder die Verbindung zwischen seinen und heutigen Forschungsarbeiten herstellen. Das erste fand im Herbst 1990 statt und stand unter dem Motto „150 Jahre Agrikulturchemie“. Zwei Jahre später folgte ein Symposium zum Thema „150 Jahre Tierchemie“. Das Symposium 1994 war Liebigs und heutigen Arbeiten „Vom Knallsilber zur modernen Nitriloxidchemie“ gewidmet. Wie modern im heutigen Sinne und weit vorausschauend Liebig schon vor 150 Jahren dachte, machte das 1996 abgehaltene Symposium „Was Liebig ahnte, aber nicht wissen konnte: Von der Energie über die Entropie zur fraktalen Struktur der Materie“ deutlich. Die Symposien waren in der Regel von 100 bis 200 Personen gut besucht und fanden großen Anklang. Die Vorträge dieser Symposien wurden in der Schriftenreihe „Berichte aus der Justus Liebig-Gesellschaft publiziert.
Parallel zu diesen Aktivitäten wurden alle Räume des Museums in den 90er Jahren renoviert, viele Exponate fachkundig restauriert und ihre Beschriftungen mehrsprachig gestaltet. Das Museum gibt den Besuchern einen interessanten Einblick in Liebigs Leben und Schaffen. Darüber hinaus vermittelt es ihm eine plastische Vorstellung, unter welchen Bedingungen vor mehr als 170 Jahren in Gießen geforscht und gelehrt wurde und welche Ausdauer und welcher Einfallsreichtum Liebig, seinen Mitarbeitern und Schülern zu eigen sein musste, um mit den damaligen relativ einfachen Geräten und Arbeitsmitteln bahnbrechende Entdeckungen und Erfindungen zu machen, die die Organische Chemie und die Agrikulturchemie begründeten und die entscheidend dazu beitrugen, die deutsche chemische Industrie zur Weltspitze aufsteigen zu lassen.
Die Zahl der Besucher ist in den letzten Jahren stetig gestiegen, was vor allem den Führungen und Experimentalvorlesungen zuzuschreiben ist. Mit Erwin Glaum wurden die Experimentalvorlesungen so populär, dass das Liebig-Museum seit den 1990er Jahren zunehmend von Schulklassen besucht wurde. Prof Laquas spektakuläre Experimentalvorlesungen setzten die Erfolgsgeschichte fort. Auch zu Firmenjubiläen und bei privaten Geburtstagsfeiern erfreuen sich viele Besucher an diesen eindrucksvollen Vorlesungen. Sie sind bis heute so gefragt, dass die aktuell fünf ehrenamtlichen Experimentatorinnen und Experimentatoren die Nachfrage kaum erfüllen können.
Jedes Jahr wird im Rahmen der Mitgliederversammlungen zu einem öffentlichen Vortrag eingeladen. Daneben gibt es in loser Folge weitere Vortragsveranstaltungen. So hielt z.B. Werner Schmidt im Januar 2018 im Hörsaal des Liebig-Museums einen Vortrag mit dem Titel „Neue Stadtanlage auf dem Seltersberg – ein fiktiver Rundgang aus dem Jahr 1847“. Diese Vorträge und Publikationen von Mitgliedern der Gesellschaft werden in der Reihe „Berichte der Justus Liebig-Gesellschaft zu Gießen e.V.“ veröffentlicht
Um Liebig in der Stadt und der Umgebung bekannter und lebendiger werden zu lassen, wurde 2018 und 2019 eine Reihe von Veranstaltungen unter dem Motto „Liebig lebt“ durchgeführt. Initiator dieser Veranstaltungsreihe war Thomas Rühl.
Objekte des Liebig-Museums werden gelegentlich ausgeliehen. Z.B. wurde für die Ausstellung „Spiegel – Der Mensch im Widerschein“, die vom 17. Mai bis zum 22. September 2019 im Rietberg Museum in Zürich stattfand, von der Liebig-Gesellschaft der kleine Original-Silberspiegel aus der Manufaktur von Justus Liebig in Doos bei Fürth (1858-1860) zur Verfügung gestellt. 2020 wurde das Schachspiel, bei dem eine Verbindung zwischen Liebig und dem Spielwarengeschäft Fuhr in Gießen besteht, anlässlich des 190jährigen Bestehens der Firma Fuhr zusammen mit aktuellen Publikationen der Justus Liebig-Gesellschaft und chemischen Glasgeräten im Schaufenster ausgestellt.